WIRTSCHAFT
„Die Errungenschaften der Krise müssen erhalten bleiben“
Krisenzeiten sind besondere Zeiten. Während eines kurzen Moments verändert sich die Welt und die Gesellschaft im Eiltempo. Diskussionen und Einwände werden beiseitegewischt. Es wird gehandelt. Nach der Krise gilt es dann, Bilanz zu ziehen.
Wie so oft in Krisenzeiten wurde auch während dem Corona-Stillstand ein spürbarer Sprung nach vorn erreicht. Sachen die noch Tage vorher undenkbar schienen, waren plötzlich möglich. So etwa das Ausbilden von Schülern über das Internet, der virtuelle Besuch beim Arzt und die digitale ärztliche Verordnung, oder die vielen unterschiedlichen Behördengänge die plötzlich digital und per Telefon machbar waren. Satte 69 Prozent aller Beschäftigten arbeiteten hierzulande von zu Hause aus.
“Es ist schon erstaunlich, was ein kleines Virus alles hervorbringen kann”, so Gérard Hoffmann, Geschäftsführer von Proximus (Tango) und Ehrenpräsident beim Verband ICTLuxembourg. “Alles passierte praktisch von heute auf morgen”, so Yves Reding (Vize-Präsident bei ICTLuxembourg und Geschäftsführer des Datencenterbetreibers EBRC).
Nur dank der vielen Investitionen in die ICT sei alles so reibungslos verlaufen, unterstreichen die Vertreter von ICTLuxembourg. Vor 10 oder 15 Jahren wäre das noch nicht machbar gewesen. Der Verband ICTLuxembourg sieht sich als Sprachrohr der Informatik-Branche in Luxemburg. Er zählt elf Patronatsverbände zu seinen Mitgliedern, darunter der Bankenverband ABBL, APDL , Alfi, APSI, Cloud Community Europe Luxembourg, Clusil, Fedil ICT, Fédération des Intégrateurs, Finance Technology Luxembourg, Lëtzblock, und Opal.
Einfach sei es jedoch nicht gewesen, erinnert sich Gérard Hoffmann. “Am ersten Wochenende (Mitte März) herrschte eine gewisse Panik. Grenzen wurden geschlossen und Menschen mussten zu Hause bleiben. Nicht jede Firma war auf Télétravail vorbereitet. Nicht jeder hatte das notwendige Material.” Auch bei der Cybersicherheit seien manche überfordert gewesen.
Heute bereits Rückschritte
Doch das Digitale hat die Kontinuität ermöglicht” so Yves Reding weiter. “ICT hat sich zur Wirbelsäule von Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt.” In Luxemburg habe es dabei im Schnitt besser funktioniert als in anderen Ländern. Vor allem die Banken seien gut vorbereitet gewesen. “Viele hatten bereits Notfallpläne in den Schubladen liegen”, so Marc Hemmerling (auch Vizepräsident ICT Luxemburg; ABBL). Beim Verband ist man stolz auf die geleistete Arbeit der letzten drei Monate.
“Leider sehen wir bereits heute Rückschritte”, mahnt Gérard Hoffmann. “Das darf nicht sein. Der Covid-Fortschritt darf nicht verlorengehen. Er muss nachhaltig erhalten bleiben.” “Wir haben einen Schritt nach Vorn gemacht”, so auch Vincent Lekens, COO von Esplandor Group und X-CITE und Präsident ICT Luxemburg. “Jetzt gilt es aufzupassen, dass wir nicht wieder einen Schritt zurück machen. Wenn wir nicht sofort handeln ist es zu spät. Dann ist der Moment vorbeigezogen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gestärkt aus der Krise herauskommen.”
Der Verband würde sich wünschen, dass Luxemburg schnell Lehren aus der Corona-Krise zieht. Die Regierung eine Art Nach-Covid-Commission einsetzen würde, um nicht nur den sanitären, sondern auch den technologischen Fortschritt zu stabilisieren. “Da gibt es in den kommenden Monaten noch viel zu tun”, so Reding.
Ganz oben auf der Wunschliste des Verbands steht dabei ein strukturierteres Vorgehen Luxemburgs im Bereich Cybersicherheit. “Die nächste Krise wird ein digitales Virus sein”, prophezeit Yves Reding. “Wir müssen uns vorbereiten.” Immerhin spiele ICT mittlerweile in allen wesentlichen Dienstleitungen (von Energie über Wasser bis hin zu Logistik und Gesundheit) eine Schlüsselrolle. “
Aufbau eines neuen digitalen Europas
Alles muss robuster werden”, so Reding weiter. “Wir müssen vermeiden, dass, wenn der digitale Virus zuschlägt plötzlich die digitalen Masken und die Respiratoren fehlen. Wir müssen weiter in Sicherheitsinfrastrukturen und -Lösungen investieren. Die nächste Krise wird sehr anders werden.” In Luxemburg wünscht man sich eine koordiniertere Herangehensweise an das Thema Cyberverteidigung, etwa ein nationales Zentrum.
Auf Europa schaut der Verband derzeit mit großen Erwartungen. “Noch ist Europa zwar ein informatischer Zwerg im Vergleich mit den IT Supermächten USA und China, aber der politische Wille ist heute da”, so Vincent Lekens. Mit Begeisterung schauen sie beispielsweise auf die Entwicklung des deutsch-französischen Projekts Gaia-X. Mit eigenen, gemeinsamen Regeln sollen europäische Anbieter zukünftig eigene Cloud-Dienstleistungen anbieten. Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz sehen sie Chancen für Europa. “Der Bereich ist noch ganz neu. Den kann man noch mitgestalten”, so Gérard Hoffmann.
“Es gilt die Kontrolle über die eigenen Daten zu erlangen”, so Raphaël Henry , Pressesprecher der Vereinigung. “Sie sind der Rohstoff der Zukunft – nicht zuletzt für die medizinische Forschung.” Und so wie Europa es mit dem Euro geschafft hat seine eigene monetäre Souveränität zu erschaffen, soll das auch im Digitalen Bereich passieren”, so Yves Reding. “Covid wird uns ein neues digitales Europa bescheren.”